Star Trek Lower Decks auf Amazon: Kritik zur ersten Star Trek-Serie seit 2005

Die Zeichentrickserie Star Trek: Lower Decks hat es endlich nach Deutschland beziehungsweise Amazon Prime Video geschafft. Dafür gab es alle zehn Episoden der ersten Staffel direkt auf einen Schlag. Was ich von der Serie halte, erfahrt Ihr in meiner Kritik.

Das, was ich in der Überschrift schreibe, meine ich ernst: Star Trek: Lower Decks ist die erste Star Trek-Serie seit dem Finale von Star Trek: Enterprise, das jetzt über 15 Jahre zurückliegt. Stammleser werden wissen, dass ich die letzten eineinhalb Jahrzehnte nicht im Dornröschenschlaf verbrachte. Ich habe vielmehr ein Riesenproblem mit den neuen Star Trek-Serien. Ob nun Discovery, Picard, oder Short Treks – mit den handwerklichen Unzulänglichkeiten, dem fragwürdigen Wertekatalog und den irrealen Charakteren kann ich nicht das Mindeste anfangen. Kurzum: In meinem persönlichen Kanon sind die von Alex Kurtzman produzierten Havarien nie passiert. Ausgerechnet die Zeichentrickserie Lower Decks, Staffel 1 erschien Ende Januar auf Amazon, bildet da nun eine Ausnahme.

Lower Decks ist keine typische Star Trek-Serie

Doch der Reihe nach. Was ist Lower Decks eigentlich? Star Trek: Lower Decks rückt das unwichtigste Raumschiff und den vermeintlich unwichtigsten Teil der Crew ins Zentrum des Geschehens. Während die USS Cerritos dorthin vordringt, wo längst jemand gewesen ist, verrichten vier junge Ensigns auf den „unteren Decks“ wenig ruhmreiche, aber für den Betrieb eines Sternenschiffes doch (lebens)notwendige Aufgaben. Ihre Ambitionen könnten dabei nicht unterschiedlicher sein.

So will Ensign Brad Boimler möglichst schnell auf der Karriereleiter aufsteigen, eines Tages selbst Captain sein. Dienstbeflissen und Vorschriften geradezu untertänigst befolgend, ringt er um die Gunst der Führungsoffiziere. Für das genaue Gegenteil steht Ensign Beckett Mariner. Sie gibt nicht viel auf Pflicht und Protokolle, die Kommandocrew stellt sie unverhohlen infrage. Boimlers verkopfte, oft unbeholfene Art der Konfliktbewältigung und Mariners Pragmatismus ergänzen sich im Schiffsalltag jedoch hervorragend. Die konfliktbehaftete Zusammenarbeit ist zudem amüsant. Nicht ganz so stark im Fokus stehen die schrille, jeden am liebsten gern umarmende D’Vana Tendi, die auf der Krankenstation ihren Dienst tut, und der für Technik brennende Sam Rutherford. Letzterer ist als Cyborg selbst zum Teil Hightech – die nicht immer reibungslos funktioniert.

Die Führungsoffiziere erhalten ebenfalls Raum, stehen aber im starken Kontrast zu unseren liebgewonnenen Helden. Der Umstand, dass man aus Sicht der Untergebenen auf sie blickt, bildet aber nur einen Teil dieses Kontrastes. Wo Jean-Luc Picard mit Gelassenheit und diplomatischem Geschick glänzte, werden Captain Carol Freeman Wutanfälle zum Verhängnis. Und während Commander Riker der Truppe das Gefühl von Gleichberechtigung vermittelte, strotzt Commander Jack Ransom nur so vor Selbstverliebtheit.

Wäre Lower Decks eine Serie mit echten Schauspielern; würde Lower Decks den Anspruch erheben, ernsthafte Unterhaltung zu bieten. Nie würde ich ihr solche Figuren durchgehen lassen. Zeichentrick-Comedy allerdings darf überzeichnen. Zumal, und das ist mir als Star Trek-Fan wichtig, alle Figuren ihr Herz am rechten Fleck tragen. Um das zu erkennen, muss man sich allerdings auf den Humor der Serie einlassen. Man trägt nicht so gehässig auf wie in Southpark oder neueren Simpsons-Staffeln, Komplexe haben die Figuren aber alle. Star Trek unterzieht sich in Lower Decks einer Art Therapie.

Lower Decks Season 1 auf Amazon: Endlich steht die Crew wieder im Mittelpunkt

Überraschenderweise bringt Lower Decks mehrere Handlungsstränge innerhalb eines engen Zeitkorsetts unter. Was Star Trek: Discovery in 13 Folgen nicht hinbekommt, nämlich die Figuren sinnvoll weiterzubringen, gelingt Lower Decks innerhalb von 30 Minuten langen Einzelepisoden. Dabei bleiben selbst Nebenplots nicht auf der Strecke. Ausgerechnet in der Zeichentrickserie haben die Figuren neben dem Arbeits- noch ein Privatleben. Und zwar von solcher Art, wie es schlaue Köpfe, wie es Sternenflottenoffiziere haben. Nicht das eines hobbylosen Netflixjunkies mit nachgeschmissenem Abitur, dem zeitlebens eingeredet wurde, qua Geburt Leistungswunder zu sein, ohne je etwas vollbracht zu haben. So jedenfalls scheint STD seine Helden zu skizzieren. Anders Lower Decks: Man schreibt, reflektiert, liest, musiziert, hat neben der Arbeit noch Technikprojekte, wohnt komplexen sozialen Aktivitäten bei. Wie zu besten TNG-, Voyager- und Deep Space Nine-Zeiten. Damals ersann man sich noch eine weiterentwickelte Menschheit anstelle der debilen STD-Krakeeler.

Auch steht kein Universaltalent im Zentrum das Geschehens, kein um Aufmerksamkeit heischendes Flennwrack. Lösungen muss sich die Crew der U.S.S. Cerritos erarbeiten, sie fliegen ihr nicht zu, während sie Beiträge auf Twitter teilt oder beim Barbier die Seiten nachrasieren lässt. Die Ellenbogenmentalität einer Michael Burnham mag häufiger persifliert werden. Sie führt die Besatzung aber nicht zum Erfolg. Schon gar nicht im Alleingang.

Ein Fest der Anspielungen

Lower Decks steht nicht auf Kriegsfuß mit dem Star Trek-Kanon. Selbst kleinste Details werden in der Serie fein säuberlich beachtet. Mit dem Design des Schiffes hatte ich mich ja schon in der Vergangenheit auseinandergesetzt. Untertassensektion und Deflektor der California-Klasse erinnern zum Beispiel sehr an die der U.S.S. Enterprise NCC-1701-D, das Uniforms-Design kommt dem aus The Next Generation näher als jedes andere. Dabei wird ein Jahr nach den Ereignissen aus Star Trek: Nemesis nicht erneut die ganze Sternenflotte umgekleidet, sondern lediglich ein Teil der Truppe. Auf einem Schiff, das ich aus Spoilergründen nicht nennen will, trägt man immer noch die schon aus Star Trek 8 bekannten Uniformen. Ursprünglich für Star Trek 7: Treffen der Generation geplante Anzüge sehen denen aus Lower Decks spannenderweise ähnlich.

Um das LCARS wieder aufleben zu lassen, eines der, wenn nicht das Markenzeichen des 24. Jahrhunderts, traten die Macher sogar an die Okudas. Detailverliebten wird auffallen, dass ältere Schiffe das aus TNG und Voyager bekannte Design nutzen, in dem vor allem Gelbtöne dominieren. Neuere Schiffe hingegen setzen in Lower Decks auf ein eher bläuliches LCARS-Interface, wie es in Star Trek: Nemesis auf der Enterprise-E zu sehen war. Turbolifts, Korridore, Phaser, Tricorder, der Maschinenraum, sogar die Intromusik. Alles könnte direkt aus einer 90er-Jahre-Inkarnationen stammen. Lange suchen kann man gepulste Han-Solo-Phaser und Hyperraumeffekte der imperialen Flotte. Lower Decks macht unmissverständlich klar: Wir befinden uns im Star Trek-Universum.

Zeichentrickserie in der Kritik: Schöpfer liebt Star Trek

Dass bei Lower Decks so viel Liebe im Detail steckt, verdanken Fans dem Showrunner. Mike McMahan, der auch Rick & Morty mitproduziert, ist bekennender Star Trek-Nerd. Seit Jahren schon betreibt er den Twitter-Account @TNG_S8 und hat auf Basis dieses Accounts sogar ein Buch veröffentlicht. Warped: An Engaging Guide to the Never-Aired 8th Season ist ein Parodie-Führer zu der nie produzierten achten Serienstaffel. Michael Chabon, neben Kurtzman der Showrunner hinter Star Trek: Picard, hielt Sternzeiten noch für Unsinn. Mike McMahan gibt der fiktive Zeitrechnung in Lower Decks wieder Raum – und das sogar mit den korrekten Zeitwerten nach dem TNG-System.

Vor dem Release von Star Trek: Lower Decks sagte McMahan, dass er sich bewusst für das Jahr 2380 entschieden hat. Ein Jahr nach Nemesis befände man sich immer noch im Zeitalter von The Next Generation, seiner absoluten Lieblingsepoche. Als Anhängsel dieser Zeit könne er mit seiner Inkarnation aber auch nichts Liebgewonnenes kaputtmachen. „Ich wollte nicht, dass jemand das Gefühl hat, ich würde seine Lieblingssendung durch das, was wir tun, untergraben wollen.“ Diese Zeilen sollte sich ein Alex Kurtzman mal hinter die Ohren schreiben.

Lower Decks ignoriert Star Trek: Discovery, wie es STD mit Star Trek tut

Eigentlich dürfte sich McMahan an viele Details gar nicht mehr halten, weil Alex Kurtzman sie bei Discovery kaltblütig überschrieben hat. McMahan ignoriert Discovery und Konsorten jedoch seinerseits. So sehen Andorianer wieder wie in Enterprise aus, das heißt: wie Shran, dem mit Abstand beliebtesten Abkömmling seiner Spezies. Andorianische Unterkünfte nutzen sogar die bekannten Wandpaneele. Echsenklingonen mit überladenen Rüstungen gibt es in Lower Decks ebenso wenig wie Tellariten mit Stoßzähnen. Hier und da erscheint sogar eine alte TOS-Requisite oder -Uniform. Sie sehen dann so aus, wie sie in der Originalserie beziehungsweise der ursprünglichen Zeichentrickserie schon ausgesehen haben. Das optische Reboot à la Kurtzman spielt, abgesehen von Lensflare-Anspielungen auf dem Holodeck, keine Rolle.

Was man dem hierzulande auf Amazon laufenden Lower Decks sicherlich vorwerfen kann, ist der ausufernde Zitierhang. Viele Anspielungen und Hintergrundwissen voraussetzende Witzchen erwärmen aber sehr wohl das halb versteinerte Fanherz. Nur eben nicht durchgängig. Episodentitel zum Beispiel gehen nicht immer sinnvoll in den Dialogen auf. Auch Ereignisse oder Namen werden mitunter zusammenhanglos zitiert. Dafür hat man bei den Gastauftritten genau den richtigen Ton getroffen. Dreimal wird der Gast-Joker gespielt, dreimal gelingt es, ohne den eigentlichen Lower Decks-Stars die Wurst vom Brötchen zu ziehen.

Die deutsche Synchro ist von hoher Qualität

Da meine Kritik zum Deutschland-Release erscheint, sei auch kurz auf die deutsche Synchronisation eingegangen. Da sehe ich zwar Verbesserungsbedarf, halte sie aber grundsätzlich für gelungen. Gags wurden oft gut ins Deutsche übertragen, stellenweise haben die Verantwortlichen sogar sinnvolle Alternativen recherchiert. Immer gelang das aber nicht. Als etwa jemand Zeilen aus dem Titelsong von Star Trek: Enterprise zitiert, heißt es im Deutschen nur, die Crew hätte damals ein echtes Abenteuer durchgestanden. Nichts zu meckern gibt es aus meiner Sicht bei den Sprechern. Statt Jack Quaid, der im Original den Brad Boimler spricht, hört man im Deutschen Patrick Baehr. Der schlug sich bereits in The Boys gut auf Quaid. Bis auf eine Ausnahme, wo der deutsche Synchronsprecher nicht mehr zur Verfügung steht, haben die Gastdarsteller erfreulicherweise ihre bekannten Synchronstimmen. Auch der Ersatzmann ist ganz passend gecastet.

Ist Lower Decks mit all seinen Quatsch-Momenten wirklich Teil des Kanons?

Schwierigkeiten habe ich mit der von Mike McMahan proklamierten Zugehörigkeit zum Star Trek-Kanon. Lower Decks betrachte ich zwar als Bereicherung des Star Trek-Universums. Es sollte aber keineswegs Teil der offiziellen Geschichtsschreibung sein. Dazu unterscheiden sich ernsthafte, mit realen Schauspielern besetzte Serien und Zeichentrick-Comedy viel zu sehr voneinander. So ungeschickt und komplexbehaftet, wie sich die Crew der Cerritos verhält, würde nicht einer von der Sternenflottenakademie aufgenommen. Man blökt sich in einer Realserie nicht ständig mit herausflatternder Zuge an. Die Verletzungen, die sich die Figuren auf der Cerritos zuziehen müssten, habe ich im echten Star Trek auch noch keinen überleben sehen. Naheliegender wäre für mich eine Zugehörigkeit zu einer Art Semi-Kanon. Das heißt, dass die Ereignisse aus Sicht der anderen Produktionen schon irgendwie stattgefunden hätten und die Charaktere für einen Jean-Luc Picard auch existieren, aber alles nur so weit, wie sich das mit den Realserien verträgt.

Lower Decks auf Amazon: Bitte mehr davon, aber als Realserie

So oder so: Wer sich auf Star Trek: Lower Decks einlässt, lernt relativ vielschichtige Charaktere mit glaubwürdigen Hintergründen kennen. Etwas, woran Discovery und Picard wiederholt gescheitert sind. Das erste Mal seit 2005 fühle ich mich wieder abgeholt. Dabei setzt Lower Decks nur teilweise auf bewährte Zutaten: Comedy gab es in der Art noch nicht.

Auf der anderen Seite belohnt Lower Decks den Zuschauer durch eine längt verschütt geglaubte Kanonhörigkeit. Dass Star Trek nur noch in Form einer billig zu produzierenden Zeichentrickserie gelingt, sagt leider viel über den Zustand des Franchise aus. Es zeigt aber auch, was möglich ist, wenn sich Alex Kurtzman und seine Gefolgsleute aus den kreativen Prozessen raushalten.

Könnte man diese Herrschaften doch nur absägen. Mehr Lower Decks, aber in Echt und ohne Comedy-Faktor, ist längst überfällig.

Zusätliche Bildnachweise: CBS/Amazon Prime Video

2 Kommentare zu „Star Trek Lower Decks auf Amazon: Kritik zur ersten Star Trek-Serie seit 2005

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